Annäherungen an"...bin im Netz i1.1" Kunsthaus Graz 2014

Ikonen des Zeitgeists Überlegungen zu „...bin im Netz“ von Rosmarie Lukasser

Text: Georg Russegger

 

Wenn eine Soziologie des Körpers auf Räume, Orte und Grenzen trifft, ist bei

Lukassers Arbeit ein Netz an technomorphistischen Ansätzen im Spiel. Die Gesetze

der Kühlheit (A. Liu) von Medienwirklichkeit zeichnen sich an ihren Körperformen

ab. Weiße Ikonen einer Mensch-Maschinen-Anpassung zeigen Verkrümmungen in

Bildpunkte zerfallenden tiefen Oberflächlichen (M. Faßler). Die Materialität ihrer

Körper lassen den Einfluss digital-vernetzter Fernanwesenheiten via Schnittstellen an

den damit verbundenen Haltungen der Individuen ablesen. Gearbeitet wird an einer

skulpturalen „Anthropologie des Medialen“, wobei sich die Expressivität des

Menschen als eine Geschichte der Individualität nicht mehr an den Rändern eines

Außen und Innen verorten lässt. Die Medialität selbst wird zur anthropologischen

Diskurshoheit ernannt. Medien sind und waren integrale Bestandteile institutioneller

und normativer Strukturen von Kultur. Dabei bieten sie den Nährboden für

kulturevolutionäre Prozesse (M. Tomasello). Anbahnungen körper(re)formierender

Tendenzen lassen Spielraum für spekulative Konstitutionen einer zukünftigen

Morphologie des menschlichen Körpers.

Tag für Tag arbeiten wir hart an unseren Körpern, dem Diktum der Anwesenheit und

den materiellen Verbindlichkeiten verfallen. Auf dem Weg zum Bioadapter

(O.Wiener) können die Dystopieentwicklungen dem aktuellen Status von Isolation

und Abhängigkeit nur zuspielen. Während zum Beispiel der Börsenhandel schon zu

99% von Maschinen gehandhabt wird, befinden sich Menschen nun am Ende einer

selbst kreierten Eingabeleiter. Erstarrt in kurzlebigen doch äußerst reizenden

Schleifen von Aufmerksamkeitsökonomien (G. Franck) ziehen wir uns ehrfürchtig in

robuste Komfortzonen mit Fernsteuerung zurück. Wenn noch „außer-sich”, dann ist

das Mensch-Ich in einem Zustand verhaftet, der sich in nervöser Aufruhr als

ausgebrannter Charakter der sensomotorischen und haptischen Nacktheit am besten

durch Ergotherapie behandeln lässt. Mit dünnhäutiger Sensibilität agiert das

Individuum in beflügelter Kopflastigkeit, wird zum überdimensionalen

Entscheidungsparadigma und unmündig Unterworfenen zugleich. Ein hybrides

Subjekt (A. Reckwitz) der Moderne, das zum Produkt von sozio-kulturellen

Technologien des Selbst (M.Foucault) heranwächst. Gerade deshalb steht es heute auf

dem evolutionsgeschichtlichen Prüfstand der Plausibilität.

Gekoppelt mit dem Aufstieg von Netzwerkgesellschaften (E. Castells) implodiert die

unmittelbare Umgebung zu einem panoptischen Kleinod von Ebenen in On- und

Offline-Welten dessen Bedeutung durch Tentakel alternativweltlicher

Handlungsebenen konstituiert wird. Lukasser stellt in ihrer Arbeit klar, wie eine

Verjüngung des Alltags im post-digitalen Zeitalter, nach der (R)Evolution des

computerbasierten Im-Netz-Werkens aussehen kann. Die Polykontextualisierung

global-urbanisierter Lebensraum-Monokultur auf der einen Seite und die Komplexität

menschlicher Lebenswelten auf der anderen werden in Lukassers Arbeit

veranschaulicht. Versinnbildlicht: Filigran, fragile und blutleere Versteifungen in

kubischen Konfigurationen abstrakter Schachtelungen. Lebensraum in

Ballungszentren wird knapp und dadurch zum höchsten Gut im Städtischen.

Reibungsverluste sind dabei nicht ausgeschlossen, wie dies zum Beispiel an rund

10.000 „Cage People“

in Hongkong zu beklagen ist.

Ist es eine Fundamentalkritik an dromologischen Sinnsystemen der Technokratie?

Müssen die Partisanen des Maschinensturms wie im Luddismus des 19. Jahrhunderts

uns aus den Fängen des Netzes befreien, bevor wir zu verkümmerten Eingabezombies

in abgedunkelten Kammern verkommen? Unweigerlich befinden wir uns in einer

Transformationsspirale von globaler Technopolitisierung (B. Holmes), dessen

Beschleunigungshunger an artifizieller Kultur in Komplexität und Quantität bis heute

einzigartig ist. Übrig bleibt ein kaleidoskopisches Spektakel im Weltmeer der

Augenblicklichkeit. Erstarrt, wie Lukassers Protagonistinnen, blicken wir auf die

materiellen Wahlverwandtschaften unserer Kunstfertigkeit. Grenzenlos erscheinende

Kreativität, mannigfaltige Inspiration und Mischkulturen von Kunst, Wissenschaft,

Biologie und Gesellschaft bevölkern die Medienlandschaft des Simulacrums (J.

Baudrillard).

Demgegenüber der einfache Mensch, ein sensibles Wesen mit einzigartigen

Fähigkeiten, zu lieben, zu begreifen, sich Tag für Tag wieder auf die sich ständig

verändernde Umwelt einzustellen. Mit Freuden und Lachen ausgedrückte

Verbindlichkeit, die sich in Mitgefühl und Empathie äußern kann. In Millisekunden

strukturierte Agilität, welche in vital-fehlerfreundlicher Anpassung und als eine

ergebnisoffene Chance den Entwicklungsprozess von Weltlichem fördert. Immer

wieder aufs Neue mit der Kreativität des Zufalls (K. Mainzer) experimentierend, um

doch noch alles zum Guten zu wenden. Das Soziale als Kernkompetenz menschlicher

Selbstorganisation ist ins Netz abgewandert. Lukassers Auseinandersetzung findet

genau nicht dort statt, und damit thematisiert sie es besonders eindringlich. Mit der

Reihe „...bin im Netz“ schafft sie eine Perspektive die zum Nachdenken anregen soll

und geht dabei sogar noch weiter, indem sie einen anthropologischen Marker in der

Zukunft zu adressieren versucht. Eine menschliche Studie, die sich nicht davor

scheut, die Angst vor paradigmatischen Veränderungen des Somatischen zu

informieren. Vielleicht schafft diese Arbeit ein kurzes „Bei-sich-Sein“.