Zur Ausstellung von Rosmarie Lukasser Annäherungen an...„bin im Netz i1.3“

Auszug der Ausstellungs-Einführung; zusammengestellt von Christine Fegerl Kunstvermittlerin Dom Quartier/Salzburg

 

Die Ausstellung ist im Sinne einer Ausstellungsreihe zu begreifen - 1.3 verweist auf die nunmehr dritte Ausstellung, in der sich Rosmarie Lukasser, wie der Titel bereits andeutet, mit dem Thema der digitalen Welt auseinandersetzt. Das kleine i im Ausstellungstitel steht für das Internet.

Seit einiger Zeit taucht Rosmarie Lukasser in regelmäßigen Abständen in die Welt des digitalen Netzes ein – ein Thema, das uns alle in sämtlichen Lebenslagen betrifft.

Zunächst soll eine kurze theoretische Annäherung an die digitale Welt bzw. an das digitale Netz vorausgeschickt werden.

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Lange noch bevor uns die Welt der Computer, Handys, facebook & Co erreichte und letztlich vereinnahmte, prägte der kanadische Philosoph und Medientheoretiker Marshall Mc Luhan den Begriff des global village. Darunter verstand Mc Luhan eine Welt im Sinne eines globalen Dorfes, in der alle Menschen durch die Elektrizität miteinander verbunden sind – die Elektrizität, die wie eine Haut die Weltkugel überzieht wurde von Marschall Mc Luhan als vierte Haut betitelt. Darin erkannte Mc Luhan eine Erweiterung des zentralen Nervensystems, der Globalisierung sowie den Verlust von Zeit und Raum.

Zur Erklärung:

Wir sprechen einerseits von der menschlichen Oberfläche als erste Haut, ferner von der schützenden Kleidung als zweite Haut; die Architektur wird als dritte Haut verstanden und schließlich Mc Luhans vierte Haut, die uns, über den Erdball hinweg miteinander verbindet.

Der tagtägliche und selbstverständliche Gebrauch des Internets lässt uns nur selten reflektieren, welche Mechanismen sich dahinter verbergen. Dies ist der Ausgangspunkt für Rosmarie Lukassers künstlerische Analysen. Sie geht den Wegen und den Auswirkungen dieser globalen Vernetzung auf den Grund. Dazu benutzt sie das Internet als Pool für ihre Recherchen. Somit ist der Gegenstand ihrer Forschungen gleichzeitig auch dessen eigener Ausgangspunkt – ein interessanter und gleichzeitig spannender Aspekt.

In der Ausstellung werden Arbeiten mit Spiegel und Reflexionen, sowie auf Papier präsentiert. Das Licht spielt dabei eine ganz besondere Rolle – genauso in den Skulpturen, die hier im Raum verteilt platziert sind. Beide Werkgruppen, sowohl jene an den Wänden, als auch die Figuren im Raum sind thematisch eng miteinander verwoben.

 

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Zu den Arbeiten im Einzelnen: Wand I Der Ausgangspunkt für Rosmarie Lukassers Arbeiten zum Thema sind die Knotenpunkte. Im Zentrum der Hängung ist ein Spiegel angebracht. Mit einem Blick in den Spiegel erkennt man sich darin nicht nur selbst, sondern man entdeckt auch zwei Kreise, die von feinen Linien begrenzt werden. Diese Knotenpunkte werden in der Fachsprache als Hubs bezeichnet.1 Diese Arbeit ist als erste Annäherung an das Netz zu betrachten.

Weitere Analysen zum Thema werden auf Millimeter- oder Isometriepapier ausgewertet. Der Einsatz von Millimeterpapier gibt den Hinweis darauf, dass das digitale Netz erdacht, konstruiert und berechnet ist, so wie es das Papier eigentlich auch selbst ist. In dieses Papier schreibt die Künstlerin Figuren ein, die in einem weißlich gefärbten Quadrat, sitzend oder stehend, in jedem Fall isoliert erscheinen. Allein durch das Netz sind sie mit den anderen Figuren verbunden.

Dem GPS, dem Global positioning system sind weitere künstlerische Überlegungen gewidmet. Zur Bestimmung der eigenen Position im Raum benötigt man zumindest drei Satelliten. Die gewonnenen Erkenntnisse werden u. a. in jenen Arbeiten vermittelt, wo mittels feinster Nylonfäden die Verbindung zum Satelliten dargestellt ist. Von den jeweiligen Punkten auf einer Erdkugel führen die Fäden zu den einzelnen, die Erde umkreisenden Satelliten und wieder zurück, womit ein Liniennetz auf dem Netz des Millimeterpapieres gespannt ist. Es breitet sich sternenförmig über den Erdball hinweg aus und verdichtet sich an den jeweiligen Endpunkten. „Auch wer nicht weiß, wie GPS funktioniert, kann damit problemlos seinen Weg finden“, so Rosmarie Lukasser. Eigentlich ein Paradoxon, man findet den Weg, ohne zu wissen, wie bzw. auf welche Weise man ihn gefunden hat......

Für die im Netz verbleibenden Daten interessiert sich die Künstlerin genauso, oder anders formuliert: Wem gehören die Daten, die ganz offensichtlich für immer im Netz verankert bleiben? Auch dafür ist Rosmarie Lukasser auf der Suche nach bildlichen Antworten. Ähnlich einem elektrischen Schaltkreis werden dazu die Analysen in Bilder verwandelt.

Oder die Künstlerin benutzt das Millimeterpapier als Platzhalter für digitale Symbole, wie z. B. den Klammeraffen, den sie mittels Tusche und Feder in die Konstruktion des Papiers wiederholend einfügt. Betrachtet man diese Arbeit mit ein wenig Abstand, entsteht ein textiler Charakter.

Ebenso textil anmutend erscheint ein kleines Quadrat, aus rotem Millimeterpapier ausgeschnitten und wiederum aufgeklebt. In jedes zweite Kästchen wurde eine diagonale Linie eingefügt – im Sinne des binären Systems. Es scheint, als hätte sich das Quadrat in ein Stück Stoff verwandelt.

Diese unterschiedlichen Systeme sind es, die Rosmarie Lukasser zu ihren Arbeiten anregen – Systeme, die von der Künstlerin wiederum in Systeme, in diesem Falle dem Millimeterpapier, eingeschrieben werden.

 

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Wand II In dieser Spiegelarbeit aus 2017 werden die Hubs und deren Vernetzungen über den Globus verteilt, dargestellt. Je nach Standpunkt des Betrachters finden sich die im Raum verteilten Figuren in der Spiegelfläche ein. Bild- und Betrachterraum werden miteinander verschränkt bzw. verknüpft. Zudem wird man selbst Teil des Bildes und man ist automatisch Teil des Systems.

Wand III

Auf der Rückseite der Wand geht Rosmarie Lukasser auf die Vernetzung im europäischen Raum ein. Feinste Linien, die sich in den jeweiligen Hubs treffen, überziehen den Kontinent in einem dichten Netz, wobei die Linien in Richtung Übersee wesentlich kräftiger erscheinen. Das dichte Netzgefüge wird durch die Arbeiten der Künstlerin für den Betrachter nicht nur sichtbar gemacht, sondern es wird auch begreifbar.

Skulpturen Den direkten Auswirkungen dieser Systemlandschaften auf den Menschen gibt Rosmarie Lukasser in ihren Skulpturen Ausdruck. Mit einem forschenden Blick beobachtet die Künstlerin die Menschen bei der Nutzung der digitalen Gerätschaften und erfasst dabei nicht nur den Körper bzw. dessen Körperhaltung von außen, sondern erklärt die Haltung vielmehr aus dem Inneren.

 

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In diesem Zusammenhang soll der Künstler und Wissenschaftler Leonardo da Vinci (1452–1519) erwähnt werden, der den Blick in das Innere des Körpers wagte. Da Vinci war am Innenleben des Menschen, an der Lage sowie dem Aufbau der Organe, der Knochen oder der Muskeln interessiert. Denn, nur so war es einem Künstler überhaupt möglich, den Körper zu begreifen und künstlerisch richtig zu erfassen, so da Vinci.

Dazu ein Zitat von Leonardo: „Lass an deinen Gestalten nicht alle Muskeln hervortreten, denn, selbst wenn sie sich an ihrem Platz befinden, treten sie nicht sonderlich hervor, es sei denn, die Glieder, wo sie sich befinden, wären einer großen Anstrengung oder Mühe unterworfen.... Und wenn du es anders machst, dann hast Du eher einen Sack voll Nüsse abgebildet als eine menschliche Gestalt.“2

Die Erforschung des Körpers ist in den Skulpturen von Rosmarie Lukasser integriert – ganz bewusst hat sie bestimmte Körperteile hervorgehoben.

Zum Aufbau der Skulpturen:

Am Beginn jeder Skulpturen steht ein Rückgrat, das Rosmarie Lukasser aus einem Stück Metall zusammenschweißt. Daran werden die einzelnen Körperteile aufgehängt, die sie zuvor, aus Papier und Klebebändern zusammenbaut. Darüber legt die Künstlerin ein Drahtgitter, das die Formen zusammenhält. Anschließend werden mit Jute und Schnüren bestimmte Muskelgruppen herausgearbeitet. Mit Alabastergips wird das Körpergerüst anschließend weiter bearbeitet.

Jenen Körperteilen, die wir in der „digitalen Haltung“ intensiv beanspruchen, wie z. B. den Nacken- und Schulterbereich, schenkt Rosmarie Lukasser in ihren Figuren besonderes Augenmerk. Dazu begibt sich die Künstlerin im

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Arbeitsprozess selbst in die jeweiligen Positionen, um den Körper am eigenen Leib zu spüren und zu erfahren.

Diese Vorgehensweise erinnert an die österreichische Künstlerin Maria Lassnig (19019–2014) – ihr sind aktuell einige Ausstellungen gewidmet (Albertina/Wien, im Rahmen der documenta 14/Athen, Palazzo Pitti/Florenz) – die sich mit ihren introspektiven Erlebnissen bzw. in den nach ihr benannten Körperempfindungsbildern u. a. mit den Druckstellen beim Sitzen oder Liegen auseinandersetzte.

Mit Alabastergips betont also Rosmarie Lukasser bestimmte Körerteile der Figuren, wie z. B. die Oberschenkel, die auf der Tischfläche aufliegen. Die Künstlerin setzt genau dort an, wo der Körper in dieser Haltung zu spüren ist. Bis in die Zehenspitzen ist die Körperspannung nachvollziehbar.

Diese Figuren sind keine ausformulierten Körper, es sind auch keine direkten Abbildungen von Körpern, sondern sie spiegeln Konstruktionen von Menschen, die isoliert und in sich versunken auf uns wirken. Und dennoch sind uns die Figuren vertraut – sie erinnern uns an das tägliche Verbundensein mit dem Netz.

Nicht zuletzt spielt bei den Figuren wieder das Licht eine nicht unwesentliche Rolle. Die dafür nötige Technik bleibt mit der Verkabelung ersichtlich – darin verbirgt sich die Elektrizität, die uns alle wie eine vierte Haut miteinander verbindet.

 

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Hubs            sind Geräte in der Telekommunikation, die Netzknoten sternförmig verbinden, vergleichbar  den Denkprozessen im menschlichen            Gehirn URL:             https://de.wikipedia.org/wiki/Hub_(Netzwerktechnik),

Zugriff  am:             28.5.2017.            Heylighen, Auf dem            Weg zum „Global Brain“ 1998,S.309.

 

2 Chastel, Leonardo            2011,            S.287.

 

 

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Literaturverweise:

Chastel, André, Leonardo da Vinci. Schriften zur Malerei und sämtliche Gemälde, München 2011.

Heylighen, Francis, Auf dem Weg zum „Global Brain“. Der Mensch im weltweiten elektronischen Netz, in: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH (Hg.), Der Sinn der Sinne, Schriftenreihe Forum / Band 8, Göttingen 1998, S. 302–318.

Höller, Silvia, Rosmarie Lukasser. Annäherungen an...„bin im Netz i1.2“, Ausst.-Kat. RLB Atelier Lienz, Innsbruck 2014.

Kerckhove, Derrick de, Martina Leeker, Kerstin Schmidt (Hg.), McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert, Bielefeld 2008.

Sämtliche Publikationen zu Maria Lassnig, wie z. B.: Lassnig Maria, Werke, Tagebücher & Schriften, Ausst.-Kat. Fundació Antoni Tàpies Barcelona, 27. Februar bis 31. Mai 2015, London 2015.